Von Connexio, dem Hilfswerk der EMK Schweiz-Frankreich gibt es diese Grafik, welche eindrücklich Solidarität darstellt. |
Ich höre es und stimme zu, denn ich will mitmenschlich sein. Das hat einen grossen Wert. Und doch frage ich mich, was es bedeutet, solidarisch zu sein? Was bedeutet es jetzt, während des Lockdowns, aber auch an jedem Tag, an dem kein Lockdown ausgerufen ist, z. B. wegen der weltweiten Armut (Ist das keine Pandemie?) oder dem Flüchtlingssterben am Mittelmeer und in Zentralamerika? Was bedeutet Solidarität, wenn ich lebe, mich bewege und gesund bin, während andere Menschen am Sterbebett die Wache halten, wenn ich esse und trinke, während Millionen von Kindern ständig der Hunger und Durst quälen. Was bedeutet Solidarität, wenn ich Gottesdienst feiere und eine andere Person lieber joggen geht oder bettlägerig zu Hause bleibt?
Im Duden finde ich diese Synonyme zum Wort «Solidarität»:
- Affinität, Bindung, Einigkeit, Einmütigkeit, Geistesverwandtschaft, geistiges Band, Gemeinsamkeit, Gemeinschaft, Gemeinschaftsgefühl, Geschlossenheit, Gleichgesinntheit, Miteinander, Partnerschaft, Sympathie, Teamgedanke, Übereinstimmung, Verbundenheit, [Wesens]verwandtschaft, Wirgefühl, Zusammengehörigkeit, Zusammenhalt; (gehoben) Einklang; (bildungssprachlich) Konsens
- Gerechtigkeit, Kameradschaftlichkeit, Kollegialität
Ich bin nicht überzeugt, dass Solidarität bedeutet, dass ich nur das mache und machen darf, was mein Nachbar auch macht und machen darf. Ich bin nicht überzeugt, dass es solidarisch ist, keinen Gottesdienst zu feiern, weil andere Personen dem Gottesdienst fern bleiben (aus Bequemlichkeit, aus Schwäche oder, wie in diesen Wochen, aus Angst).
Bestünde Solidarität mit denen, die nicht kommen können oder wollen, nicht gerade darin, das Beten und den Lobpreis aufrechtzuhalten? Sind wir nicht gerade als Menschen, die von der Auferstehung Christi her und auf unsere Auferstehung hin leben, dazu berufen, wirklich so lebendig zu sein, wie wir es nur können? Müssen wir nicht im Namen des Auferstandenen, der zur Rechten Gottes sitzt, das Leben beanspruchen – umso mehr, wenn andere Menschen selber nicht dazu imstande sind?
Wäre es nicht vielleicht solidarisch, Menschen dabei zu unterstützen, ihre Handlungsmöglichkeiten zu entdecken und zu erweitern, zu erkennen, was sie brauchen und Möglichkeiten zu finden, dies zu erreichen? Auch wenn sie nicht in den Gottesdienst kommen. Auch wenn sie sich nicht zu anderen Menschen getrauen.
Ich bin nicht solidarisch mit den Flüchtlingen am Mittelmeer, wenn ich mich auch auf die Flucht mache. Bin ich es vielleicht, wenn ich mich für mehr Gerechtigkeit einsetze: wenn ich Menschen vor Ort, die helfen und versuchen Leben zu retten, unterstütze oder wenn ich protestiere, weil diese Helfenden und Rettenden rechtlich verfolgt werden?
Ich bin nicht solidarisch mit denen, die nicht gehen und leben wie ich, wenn ich aufhöre zu gehen und zu leben, wie ich kann. Aber vielleicht wohl, wenn ich meinen Gang und meine Lebensmöglichkeiten so einrichte, dass ich Menschen einlade, mitzukommen und dadurch wieder ihre Lebendigkeit spüren?
Ich will nicht nur solidarisch sein mit denen, die, ob berechtigt oder nur eingeschüchtert, Angst haben, sondern auch mit denen, die leiden, weil ihre Grundrechte wieder und weiter eingeschränkt und verletzt werden. Ich will nicht nur solidarisch sein mit der Nachbarschaft vor Ort, sondern auch mit unseren globalen Nachbarn in anderen Ländern und Kontinenten.
Ich will mit denen solidarisch sein, die ihr Wissen kundtun, auch wenn sie dafür missachtet und verleumdet werden, indem ich ihnen zuhöre. Ich will mit denen solidarisch sein, die andere Ansichten wagen und mit ihnen entdecke, was aus ihrer Perspektive zu sehen ist.
Ich will so handeln, weil ich dazu berufen bin, hinter dem her, der sich mit allen Menschen solidarisch gemacht hat, der lebt und regiert.
Marietjie Odendaal ist Mitglied im Ausschuss Kirche und Gesellschaft der EMK Schweiz-Frankreich-Nordafrika
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