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Freitag, 19. Juni 2020

Den eigenen Rassismus überwinden

Ein Gastbeitrag von Christian Hagen, Pfarrer in der Evangelisch-methodistischen Kirche Herisau

Black Lives Matter - Rassismus und Bibel
George Floyd wurde auf den Strassen Amerikas vor laufender Kamera umgebracht. Ihm wurde das Recht, frei zu atmen, genommen. Es ist eine Schande und ein Ausdruck des tiefen Falles der Welt. Diese abscheuliche Tat ist eine Tragödie, die gerade jetzt zu einer offenen Konfrontation verschiedener Gruppierungen in den USA führt.

Normalerweise äußere ich mich nicht öffentlich über Dinge, die in der Welt passieren. Ich predige lieber aus der Bibel als aus der Tageszeitung; zumal, wenn es um Ereignisse geht, die weitab von uns passieren.

Aber es lässt mir keine Ruhe. Es ist nicht so sehr diese einzelne Tat, die mich beschäftigt, als vielmehr das Grundübel hinter der Tat – der Rassismus, der sich in einem Akt der brutalen Gefühllosigkeit eines Polizisten widerspiegelt.
Es ist dabei ein Leichtes, mit dem Finger auf die USA zu zeigen und zu sagen, dass die Amerikaner halt ein tief entzweites Land sind. Es ist ganz klar: Die Sklaverei hat tiefe Spuren hinterlassen, die Gesellschaft ist nach wie vor unterteilt in Privilegierte und Nicht-Privilegierte, viele Wunden sind noch nicht geheilt.

Haftstrafen in den USA werden sehr selektiv ausgesprochen. Auf jeden inhaftierten Weißen entfallen 2,5 Hispanos und 5,8 Afroamerikaner. In den letzten zehn Jahren ist die Inhaftierungsquote von Frauen um 646 Prozent gestiegen, wobei dieser Zuwachs zum großen Teil auf Afroamerikanerinnen entfällt.“ (Wikipedia)

Ja, das amerikanische System ist krank, schwer krank. Aber wenn wir mit dem Zeigefinger auf die USA hinweisen, zeigen doch auch immer drei Finger auf uns selbst zurück. Wie ist es denn um uns selbst bestellt? Sind wir in Mitteleuropa, in Österreich, in der Schweiz, etwa frei von Rassismus und Ressentiments? Sind unsere Gesellschaften weniger rassistisch durchtränkt?

Ja, wie sieht es mit mir selbst aus und mit meinem Herzen!?

Stell dir vor, du gehst bei Sonnenuntergang spazieren und begegnest einer Gruppe junger Männer. Macht es da einen Unterschied für dich, welche Hautfarbe diese Menschen haben? Hast du, wenn es eine Gruppe dunkelhäutiger Männer ist ein mulmiges Gefühl, während bei einer hellhäutigen Gruppe dieses Gefühl weniger ausgeprägt ist? Wenn ja, woher kommt das?

Aber noch wichtiger, wie kann man das überwinden? Wie überwindet ein Mensch seinen eigenen Rassismus, der ihm vielleicht oftmals gar nicht so bewusst ist?
Ich erinnere mich an einen Mann aus einer Kirchgemeinde, die ich einst besuchte. Er war schon an die 70 Jahre alt und hatte noch nie mit einer Person afrikanischen Ursprungs gesprochen. Da geschah es eines Tages, dass eine Frau (ich glaube, sie kam aus Uganda oder Kenia) zu uns in den Gottesdienst kam. Der besagte Mann staunte nur über die Frau. Sie schien ihm fremdartig und anders. Er war irgendwie fasziniert, aber auch verunsichert. Es dauerte fünf oder sechs Wochen, bis er sich überwand, die Frau anzusprechen. Er machte dies etwas unbeholfen, aber mit einer entwaffnenden Offenheit. Er sagte zu ihr sinngemäß: "Entschuldige. Ich habe noch nie mit einer schwarzen Frau gesprochen. Ich kenne 'euch' nur aus dem Fernsehen und aus der Ferne. Aber ich habe mich immer gefragt, wie sich eure Haut anfühlt. Darf ich dir die Hand geben?"
Die Dame war offensichtlich etwas verdutzt und verlegen, gab ihm aber bereitwillig die Hand. Nachdem er die Hand zuerst eingehend betrachtet und dann berührt hatte, sagte er: "Komisch. Ich dachte, eure Haut fühlte sich an wie Porzellan. Aber sie fühlt sich genauso an wie meine …"
Damit war für ihn die Sache erledigt und glasklar: Diese Frau ist genauso Mensch wie ich. Sie ist nicht anders, nicht sonderbar, nicht fremdartig. Sie ist einfach ein Mensch, den Gott geschaffen hat – nur ihre Haut ist etwas dunkler.
Dieser Mann hätte sich selbst sicher nicht als Rassist bezeichnet, bevor er die Frau kennenlernte. Aber irgendwo in ihm schlummerte ein tiefes Ressentiment, eine Unsicherheit, ein komisches vages Gefühl, das er nicht benennen konnte. Und dieses Gefühl musste er überwinden.
Er tat es durch eine Begegnung und eine Berührung.
Und: Er tat es in der Gemeinde!

Das ist für mich das Wunderbare. Dieser Mann, der weder an seinem Arbeitsplatz noch in seinem Stammlokal noch in seinem Verein jemals einer afrikanischen Person begegnet wäre, hatte die Chance einer solchen Begegnung unter dem Kreuz Jesu.

Hier konnte er der Frau begegnen und trotz aller Unbeholfenheit sein eigenes Nicht-Verstehen und Nicht-Kennen ausdrücken und vor allem: etwas lernen. Und auch die Frau lernte etwas: Die Ablehnung, die sie oft in der Gesellschaft erfuhr, stammt nicht immer aus Hass oder offenkundigem Rassismus – manchmal sind die Menschen einfach nur unwissend und ängstlich, so wie der 70jährige Mann, der noch nie eine dunkle Haut berührt hatte.

Mit nur einem Händeschütteln wurden diese beide Personen eins, eine Brücke war gebaut und eine Mauer niedergerissen (obwohl die ganze Szene für mich als Außenstehenden zugegebenermaßen sehr skurril war).

In der christlichen Gemeinde ist kein Platz für Rassismus. Überhaupt kein Platz!
Die Gemeinde lebt aus dem Wort Gottes, sie lernt aus der Bibel, sie lässt sich prägen von Gottes Weisheit. Und dieses Wort ist eindeutig. Alle Menschen sind von gleichem Wert und von gleicher Würde. Sie alle wurden von Gott geschaffen. Sie haben eine gemeinsame Wurzel.

Es mögen nach Noah die Völker sich auseinandergelebt und verschiedenartig ausgeprägt haben, aber im Grunde sind sie alle gleich. Die Bibel kennt keinen Rassismus. Sie kennt keinen qualitativen Unterschied zwischen den Menschen verschiedener Hauttypen.

Im Fremdenrecht Israels wird deutlich, dass man Fremde nicht unterdrücken und ausbeuten darf, dass auch sie ein Anrecht auf den Sabbat haben etc. etc.
Im Hohelied des Salomo wird die Schönheit einer dunkelhäutigen Frau gepriesen.

Simon von Kyrene, der das Kreuz Jesu tragen durfte, war von lybischer Herkunft. Er wurde schon früh als ein Heiliger angesehen.

Philippus hat kein Problem damit, zum Kämmerer aus Äthiopien auf den Wagen zu steigen, ihm das Evangelium zu predigen und ihn zu taufen.

Am Ende findet die Offenheit für alle Hautfarben und Ethnien in der Aussage das Paulus in Gal 3,26ff ihren Höhepunkt: "Denn ihr seid alle Söhne und Töchter Gottes durch den Glauben in Christus Jesus. Ihr alle nämlich, die ihr auf Christus getauft wurdet, habt Christus angezogen. Da ist weder Jude noch Grieche, da ist weder Sklave noch Freier, da ist nicht Mann und Frau. Denn ihr seid alle eins in Christus Jesus. Wenn ihr aber Christus gehört, dann seid ihr Nachkommen Abrahams und gemäss der Verheissung seine Erben."
In der Christenheit ist kein Platz für Rassismus. Überhaupt kein Platz!



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