Gesamtzahl der Seitenaufrufe

Montag, 23. November 2020

Wem gehören die Karotten auf abgeernteten Feldern?

Ein Gedanke

Karotten auf abgeerntetem Feld
Foto © Jörg Niederer
"Respekt vor der Nahrung ist Respekt vor dem Leben, davor, wer wir sind und was wir tun." Thomas Keller,  Amerikanischer Koch, Gastronom und Kochbuchautor

Ein Bibelvers - 5. Mose 24,19-21

"Wenn du auf deinem Feld deine Ernte schneidest und eine Garbe auf dem Feld vergisst, sollst du nicht umkehren, um sie zu holen. Dem Fremden, der Waise und der Witwe soll sie gehören, damit der Herr, dein Gott, dich segnet bei aller Arbeit deiner Hände. Wenn du deinen Ölbaum abklopfst, sollst du danach nicht die Zweige absuchen; dem Fremden, der Waise und der Witwe soll es gehören. Wenn du in deinem Weinberg Lese hältst, sollst du keine Nachlese halten. Dem Fremden, der Waise und der Witwe soll es gehören. Und du sollst daran denken, dass du Sklave gewesen bist in Ägypten; darum gebiete ich dir, dass du so handelst."

Eine Anregung

Wie eine Litanei klingt es, wenn in der Bibel von der Armengesetzgebung gesprochen wird. In einer agrarischen Kultur hängt diese natürlich zusammen mit der Ernte. Und tatsächlich wird in der Bibel auch beschrieben, dass es Arme gab, die genau das taten. Sie sammelten das Übriggelassene auf den Feldern zusammen. Von der Moabiterin Ruth wird erzählt (Ruth 2,2), wie sie hinter den Schnittern herging und Ären zusammenklaubte. Ausländerin, Witwe und arm; bei ihr traf alles zu, was damals zur Nachlese berechtigte.

Wie ist das heute? Gerade wieder findet man Gemüsepflanzungen, auf denen noch vereinzelte Salatköpfe herumstehen, oder Karottenfelder, bereits abgeerntet und doch noch voller Rüben. Im Rheintaler erschien ein Artikel, in dem ein Profi dieser Sache nachgegangen ist: "Der Widnauer Rechtsanwalt Werner Ritter hat auf Anfrage in alten bis mittelalterlichen Rechtsschriften ohne Erfolg nach Hinweisen auf 'überliefertes Recht' gesucht. 'Nach intensivem Rechtsstudium habe ich keine Belege für ein allgemeines Recht, auf Privatgrundstücken Früchte und Beeren zu sammeln, gefunden, auch nicht in alten Rechtsbüchern.'" Weiter steht in https://rheintaler.ch/artikel/boehnala-ist-unfein-und-verboten/6428: "Das Sammeln von wildwachsenden Früchten und Beeren sei gemäss ZGB Art. 699 (Zivilgesetzbuch) im Wald und auf den Weiden gestattet. Auf Wiesen und Äckern dürfen Früchte von Kulturpflanzen nur dann gesammelt werden, 'wenn der Eigentümer sein Eigentumsrecht offenkundig aufgegeben hat und die Früchte und Beeren offensichtlich herrenlos sind'. In der Praxis: Wenn der Landwirt es direkt oder mit einem Schild am Feldrand erlaubt."

Die Gemüsebäuerin Roswitha Rohner dagegen weiss, dass dies früher anders war: "Da durfte man alles, was sich nach dem 1. November noch auf dem Acker befand, ungefragt ernten, auch wenn es noch in der Erde steckte. Inzwischen habe sich das geändert, so Rohner, da jedem Bauern daran gelegen sei, seine Ware so lange wie möglich stehen zu lassen." Siehe https://www.tagblatt.ch/ostschweiz/rheintal/erntediebe-sind-ganz-schoen-dreist-ld.239741!

Wir leben halt nicht mehr in biblischen Zeiten und unsere Armenhilfe funktioniert anders.

Jörg Niederer ist Mitglied  im Ausschuss Kirche und Gesellschaft der EMK Schweiz-Frankreich-Nordafrika

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen