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Freitag, 27. November 2020

Menschenraub, Händel und die Ranze

Ein Gedanke

Zwei Schwergewichte
Foto © Jörg Niederer
"Manchmal muss man Menschen gehen lassen. In der Regel, nachdem das Lösegeld gezahlt wurde." visualstatements.net

Ein Bibelvers - Markus 10,45

"Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele."

Eine Anregung

In manchen Schweizer Dialekten bedeutete "ranzen" auch herumzerren, balgen, raufen und ringen. Das Schweizer Idiotikon zitiert dazu folgenden Satz: "Üsi Meitschi gsehd-me doch nie so ranzen, wie's die Donners Buebe treibed". Auch das aufreibende Verhandeln bei einem Kauf konnte als eine Art verbaler Ringkampf verstanden werden, so dass man dem eben auch "ranzen" sagte. Wer nicht hartnäckig feilschte, der ranzte folglich auch nicht. Dazu ein Zitat aus dem Jahr 1650, wohl aus einer Predigt: "Judas ranzet nit, begehrt nit ein sterker Bott, ist der dreissig Silberlingen zufrieden." 

Und damit kommen wir zum kriminellen Aspekt dieses vieldeutigen Begriffs. Die "Ranze" oder "Ranz(i)on" ist auch das Lösegeld bei einer Entführung: Dazu ein Zitat von Reformator Zwingli: "Sind wir um sünden willen versetzet, so ist er [Christus] unser ranzung und losgelt."

Aus politische Gründen gab es schon immer Entführungen, bei denen Lösegeld erpresst wurde. Ein berühmtes Beispiel ist die Gefangenname von König Richard Löwenherz (1157-1199) und dessen Freilassung nach einer Lösegeldzahlung von damals astronomischen 100'000 Mark. 

Bei einer Lösegeldforderung ist es wichtig, einen realistischen Betrag zu verlangen, nicht zu hoch, nicht zu niedrig. Die Festlegung der Summe nennt man "ranzen". Dazu eine Episode mit einem St. Galler: "Herzog Ludwig [der spätere französische König Ludwig XII.], ein verriefter der kron Frankreich [e]vigend, [wurde] unerkant von houptman Späting von St Gallen gvangen, ilends von den Franzosen, als inen bekant, mit ringer ranzung gelöst, höher geranzt und irem küng überantwort." Offenbar wurde Ludwig XII. von Hauptmann Späting in der damaligen Gefangenschaft so gut behandelt, dass der Monarch dem Hauptmann eine Pension zukommen lies.

Ergänzen wir den Satz aus dem gestrigen Blog: "Herr Ranz von Ranzach trug einen ausgesprochen schweren Ranzen mit ranzig gewordener Butter auf dem Buckel, gedacht als Ranze für seinen nichtsnutzigen Bruder, ein richtiger Ränzler; all das beförderte Ranz von Ranzach in gar ranzige Stimmung."

Ach ja, damit ist noch längst nicht alles gesagt: "abranzen" meint abkanzeln; ein "Ranzer" ist ein streitsüchtiger Bub oder ein streitsüchtiges Mädchen; "ranzig" ist, wer es liebt zu raufen; "ränzle" meint necken, reizen; ein "Ränzler" ist nicht nur der Bauchsprung ins Wasser sondern auch ein streitsüchtiger Mensch oder tückischer Spötter. All das, und noch mehr findet man im Schweizer Idiotikon: https://www.idiotikon.ch/

Jörg Niederer ist Mitglied  im Ausschuss Kirche und Gesellschaft der EMK Schweiz-Frankreich-Nordafrika

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