Ein Gedanke
"Wenn sich die Giraffen recken, / Hochlaub sucht die spitze Zunge, / Das ihnen so schmeckt, wie junge / Frühkartoffeln mit Butter mir schmecken." Joachim Ringelnatz (1883-1934), https://gutezitate.com/zitat/183353Foto © Jörg Niederer
Ein Bibelvers - Ezechiel 31,8
"Keine andere Zeder im Garten Gottes kam an sie (die eine Zeder als Weltenbaum) heran. Kein Reckholder glich ihr mit ihren Zweigen. Keine Platane hatte Äste wie sie. Kein Baum im Garten Gottes war so schön wie sie."
Eine Anregung
Je nach Zusammenhang können Worte gegenteilige Bedeutung haben. Zum Beispiel wird "geil" nicht nur im Sinn von "lüstern, geschlechtlich erregt" gebraucht, sondern auch im Sinn von "schön, großartig, toll". Ursprünglich bedeutete geil einfach "übermütig, froh".
Noch ein Beispiel: "Es ist verreckt gut" meint etwas ganz anderes als "Er ist verreckt". Der Redensarten-Index erklärt das Wort so: "'Verrecken' gehört zu dem Verb 'sich recken" und bedeutet eigentlich: im Tod die Glieder starr ausstrecken; steif werden. Bis ins 17. Jahrhundert (Opitz) ist das Wort sogar in der Dichtersprache üblich, später wird es jedoch mehr und mehr auf verendendes Vieh eingeschränkt. Daher hat es seinen negativen Klang, wenn man es auf Menschen anwendet". Siehe https://www.redensarten-index.de/
Nun könnte man meinen, dass das Sportgerät "Reck" daher kommt, dass man sich daran recken, also strecken muss. Falsch. Das Wort "Reck" geht auf das "Rick" zurück, eine Bezeichnung für eine horizontal aufgelegte Stange, z.B. für die Hühner im Hühnerstall.
Heute selten geworden wird das Wort "Recke" für einen riesenhaften Krieger gebraucht. In diesem Begriff steckt eine alte Bedeutung für "Flüchtling, Verbannter". Und "Recke" ist auch verwandt mit dem Wort "rächen". In der Textbibel von 1899 taucht der Recke noch auf. Genesis 6,4: "Zu jener Zeit waren die Riesen auf Erden; und auch nach der Zeit, wo sich die Gottessöhne zu den Töchtern der Menschen gesellten, und diese ihnen gebaren - das sind die Recken, die in grauer Vorzeit waren, die Hochgefeierten." Auf Bairisch heissen diese Recken "Röckn". Und was da in der Bibel beschrieben wird, sind Mischwesen zwischen Göttern und Menschen.
So, und wie komme ich da jetzt aus dieser Spurensuche wieder auf sicheren Pfad?
Da gibt es noch den Reckholder. Das ist der alemannische Begriff für den gemeinen Wacholder. In der Bibel kommen verschiedene Arten des Wacholders vor, alles Unterarten der Zypressen. Diese schönen Nadelbäume recken sich in den Himmel. Aber noch schöner ist der Weltenbaum. Dieser wird im biblischen Buch Ezechiel 31,1-9 beschrieben. Faszinierend, was passiert, wenn man sich an Begriffen entlanghangelt, um sich schlussendlich am Weltenbaum hochzurecken.
Jörg Niederer ist Mitglied im Ausschuss Kirche und Gesellschaft der EMK Schweiz-Frankreich-Nordafrika
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