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Mittwoch, 1. April 2020

Ein Kaddisch in der Gaskammer

Bild von <a href="https://pixabay.com/de/users/peter89ba-3561877/?utm_source=link-attribution&amp;utm_medium=referral&amp;utm_campaign=image&amp;utm_content=3671389">Peter Tóth</a> auf <a href="https://pixabay.com/de/?utm_source=link-attribution&amp;utm_medium=referral&amp;utm_campaign=image&amp;utm_content=3671389">Pixabay</a>
Mein Grossvater mütterlicherseits war in den dunklen Jahren zwischen 1933 und 1945 in Deutschland aktives Mitglied der SA (Sturmabteilung der NSDAP) und überzeugter Antisemit. Darüber reden konnte man mit ihm zeitlebens nicht. Erst auf seinem Sterbebett soll es eine Aussprache mit dem Pfarrer gegeben haben, wusste meine Mutter. Meine Mutter hatte an diesem Erbe zeitlebens schwer getragen und engagierte sich gegen das Vergessen dieses Schreckens im örtlichen «Jüdischen Verein».
Für mich ist das Erbe ebenfalls eine Verpflichtung.
Im Rahmen meines Studiums habe ich mich mit verschiedenen Facetten des Themas beschäftigt. 
Das Judentum als aktive Religion interessiert mich sehr, und ich will von meinen älteren Geschwistern im Glauben lernen. Gerne besuche ich den Synagogengottesdienst. 
Ich habe begonnen, mich mit der Theodizee auseinanderzusetzen, also der Frage, wie ein allmächtiger und gütiger Gott alles schlimme Leid auf der Welt einfach geschehen lassen konnte. 
Ich habe viel Autobiografisches gelesen, in denen Überlebende von den Grauen der Vernichtungsmaschinerie erzählt haben. Vor allem das Buch «Die Nacht zu begraben Elisha» von Eli Wiesel hat mich sehr erschüttert. Dort schreibt er angesichts des Schrecklichen was er in Auschwitz erleben musste, «Nie werde ich diese Augenblicke vergessen, die meinen Gott töteten und meine Seele und meine Träume zu Staub werden ließen.»

Ich habe das Vernichtungslager Auschwitz nahe der polnischen Stadt Krakau besucht. Vieles was ich dort gesehen habe, hat sich als Bild in mir eingebrannt: Die Überlebenden, die mit «Häftlingskleidung» Auschwitz besuchten, und der Mann mit der Kippa der vor der grossen «Erschiessungsmauer» betete, an der tausende Menschen umgebracht wurden, oder das Meer von Kerzen bei einer Gedenkfeier in einer der wenigen erhaltenen Gaskammern. Hier feierte eine grosse Gruppe israelischer Jugendlicher das Totengedenken mit dem «Kaddisch», dem Totengebet. Im Kaddisch wird die Heiligkeit Gottes besonders herausgestellt. Hinter all die Erfahrungen kann ich nicht mehr zurück.

Ich muss und ich will nicht aufhören, mich mit der Shoa auseinanderzusetzen.

Ein Beitrag für "Kirche und Welt", 4/2020

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