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Freitag, 22. Januar 2021

Klagen, klagen und noch einmal klagen

Ein Gedanke

Ausschnitt aus der Plastik vom Heiligen Karl Borromäus, 2009 gestaltet von Wolfgang Eckert für die Konviktskirche Freiburg im Breisgau
Foto © Jörg Niederer
"Seelsorge, die Trost vermitteln will durch die Behauptung von Sinn und Bestärkung von Lebensgewissheit, ist immer in der Gefahr, der Fassadenwelt aufzusitzen. Das 'Dahinter' einer trostlosen Welt, die um den Verstand bringt und in die Verzweiflung treibt, bleibt ausgespart und verdrängt." aus: Henning Luther in: Die Lügen der Tröster, S. 164

Ein Bibelvers - Psalm 77,2.5+6 (BasisBibel)

"Laut rufe ich zu Gott, ich schreie! Laut rufe ich zu Gott, er wird mich hören! ... Meine Augenlider hältst du offen. Ich bin aufgewühlt und kann kaum reden. So versinke ich in Gedanken an früher, an die Jahre, die längst vergangen sind."

Eine Anregung

Gibt es ein "Entweder-Oder"? Entweder Bestärkung, Trost und Hoffnung, oder Klage, Schweigen und Zuhören? Mit diesen Fragen beschäftigt sich ein Artikel des Theologischen Feuilletons feinschwarz.net, geschrieben von Kerstin Menzel, Assistentin am Lehrstuhl für Praktische Theologie und wissenschaftliche Mitarbeiterin im Forschungsprojekt "Sakralraumtransformation" an der Universität Leipzig. Dabei zitiert sie Henning Luther: "Trost wird da zur Lüge, wo er Klage und Trauer nicht zulässt oder nur in begrenztem, dosierten Maße." Also nicht "entweder-oder", sondern "sowohl-als auch". Klage und Trauer muss sich manifestieren, muss kommuniziert werden, muss Sprache, Ausdruck, Form werden. In St. Gallen haben sich die ökumenischen Partner vor Ort entschieden, den Kreuzweg der Gegenwart gerade darum an Karfreitag und trotz Corona-Unsicherheit durchzuführen, weil es eine dieser Gefässe ist, in der die Klage, die Trauer, die Wut, das Hadern sein darf und einen Sakralraum findet. (Mehr zum Kreuzweg der Gegenwart hier!)

Ich bin sicher, dass solche Orte des inneren und äusseren Aufruhrs auch dabei helfen, dass Klage und Trauer überwunden werden können. Denn Klage und Trauer wird da zerstörerisch, wo sie nicht gehalten wird von einer kollektive Hoffnung durch die Gemeinschaft der Glaubenden. Nicht billige, schnell dahingesagte Vertröstung, sondern Solidarität im Weinen und Lachen, im Zweifel und Vertrauen.

Hier geht es zum feinschwarz-Artikel: https://www.feinschwarz.net/nur-wer-klagt-hofft/

Und hier geht es zu https://klagezeit-leipzig.de/ , der praktischen Umsetzung von Menzels Überlegungen. Heute um 17 Uhr kann man per Livestream an der "Klagezeit" teilnehmen.

Jörg Niederer ist Mitglied  im Ausschuss Kirche und Gesellschaft der EMK Schweiz-Frankreich-Nordafrika

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