Ein Gedanke
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Foto © Jörg Niederer |
"Wenn wir größer sind, als unsere Schritte, verlieren wir unsere Harmonie." Sprichwort
Ein Bibelvers - Genesis 1,24+25
"Und Gott sprach: Die Erde bringe Lebewesen hervor nach ihren Arten: Vieh, Kriechtiere und Wildtiere, je nach ihren Arten. Und so geschah es. Und Gott machte die Wildtiere nach ihren Arten, das Vieh nach seinen Arten und alle Kriechtiere auf dem Erdboden, nach ihren Arten. Und Gott sah, dass es gut war."
Eine Anregung
Als Kind habe ich gehört, dass Elefanten beim Gehen darauf achten, nicht auf kleine Tiere zu treten. Ob das stimmt, weiss ich nicht.
Für Ameisen bin ich grösser, als ein Elefant es für eine Maus ist. Wenn ich zu Fuss gehe, dann versuche ich, Tieren so wenig wie möglich zu schaden. Es ist eine Achtsamkeitsübung, die Schritte so zu setzten, dass ich dabei nicht auf Ameisen oder andere kleine Tierchen trete. Gelegentlich geht es um Zentimeter. Und dann stelle ich mir vor, wie die Ameise bei einem Läusesaft in der Formicidae-Bar den Kolleginnen erzählt: "Heute bin ich einem dieser Zweibeiner begegnet. Der Boden hat gebebt, als er dicht neben mir aufgetreten ist. Zum Glück achten sie darauf, dass sie nicht auf unsereine treten."
Ich war aber auch schon weniger vorsichtig. So endeten an einem regnerischen Abend ungewollt gleich zwei Weinbergschnecken unter meinen Schuhen. Danach habe ich mich richtig schlecht gefühlt. Wäre ich Hindu, würde mich mein Karma wohl im nächsten Leben zur Schnecke machen.
Man sagt, man solle in der Natur nichts zurücklassen als nur die Fussspuren. Rücksichtsvolle Achtsamkeit geht weiter. Ich konzentriere mich bei jedem Schritt. Ich bin verantwortlich, was unter meinen Füssen geschieht. Ich achte auf Gottes bodennahe Geschöpfe, weiche aus, lasse den Schwächeren den Vortritt.
Schon auf dem Fahrrad ist dies nicht mehr möglich. Und im Auto schon gar nicht. Darum übe ich Achtsamkeit am Liebsten Schritt für Schritt.
Achtsamkeit geht auch so wie im folgenden - wohl einigen schon bekannten - Video: https://www.youtube.com/watch?v=yRC9GFZlyV8
Was in der Welt geschieht ist oft so schrecklich, was an Nachrichten auf uns einstürmt so widersprüchlich. Wie kann man da noch glauben? Viele Zeitgenossen resignieren, geben ihre Hoffnungen auf.
Doch ich finde, es macht Sinn zu glauben. Trotzdem! Ich will den Glauben unverfroren buchstabieren, immer wieder neu, wie ein Kind. Erst recht: achtsam sein, wo Himmel und Erde sich berühren, wo die Spur des Ewigen meinen Alltag kreuzt. Da verrät schon unsere Sprache, was viele andere vor uns gesucht und auch erlebt haben. Unser Wort ‚glauben‘ kommt vom althochdeutschen ‚gilouben‘ und bedeutete: für lieb halten, gutheissen. Es steht für ein freundschaftliches Verhältnis eines Menschen.
Das Geheimnis des Glaubens besteht auch heute darin, ein freundschaftliches Verhältnis zu finden – zur Schöpfung und unseren Mit-Geschöpfen. Alles mit Augen der Liebe betrachten. So stelle ich mir auch Gott vor: Der Schöpfer betrachtet seine geliebte Welt und spricht begeistert aus „es ist (sehr) gut“! Da ist ein Gegenüber, das sieht, ja die ganze Welt mit Liebe sieht. Das ist der Beginn von allem; damit verändert sich alles.
Der Komiker Karl Valentin sagte einmal: «Heute besuche ich mich einmal. Mal schauen, ob ich zuhause bin!» Was als Witz gedacht ist, hat einen tieferen Sinn: Wer von uns kann schon behaupten, er ruhe in sich, er sei bei sich angekommen?
Wir Christen leiden unter einem grossen Seelenhunger. Unsere Sehnsucht nach Gott treibt uns umher. Wir gleichen der Katze, die ihren Schwanz zu fangen versucht.
Dabei steht Gott schon vor unserem Herz. Wir müssen es nur himmelweit öffnen, um ihm Raum zu geben. Mit Gott in uns kommen wir an, finden wir Ruhe.
Ich bin immer wieder tief beeindruckt von älteren Menschen, die ihren Gott gefunden haben. Mit einem weisen Lächeln strahlen sie eine Zufriedenheit aus, die ansteckend ist.
Ein spiritueller Mensch lebt nicht nur im stillen Kämmerlein seinen Glauben aus. Er ist offen für den Mitmenschen mit all seinen Sorgen und Nöten. Achtsam tritt er für das Leben ein. Behutsam engagiert er sich für eine menschen- und letztendlich auch gottfreundlichere Welt.
Einatmen und Ausatmen, beten und aktiv sein, das wünsche ich uns allen, gerade in der Adventszeit.
Erschienen in "Kirche und Welt", 12/2012 André Töngi ist Mitglied im Ausschuss Kirche und Gesellschaft der EMK Schweiz-Frankreich