Ich sitze im Zug und spiele mit dem kleinen Pin an meiner Jeans-Jacke rum. Es ist eine kleine Schleife in den Farben des Regenbogens, dem internationalen Zeichen der LGBTQ-Bewegung [LGBTQ: Lesbian – Gay – Bi – Transgender – Queer (dt. Lesbisch – Schwul – Bisexuell – Transsexuell – Queer)]. Der Monat Juni gilt als der sogenannte «Pride»-Monat, ein Monat, der den Anliegen der LGBTQ-Gemeinschaft gewidmet ist und der einen Stolz (engl. «Pride») auf die Zugehörigkeit zu dieser Bewegung ausdrücken soll, anstatt der gesellschaftlich (und kirchlich?) oft geforderten Scham oder sogar Schuld. So sollen im Juni vermehrt Aktionen und Demonstrationen zu den entsprechenden Anliegen veranstaltet werden. Beispielsweise letzten Samstag fand die Schweizer Ausgabe einer solchen «Pride»-Demonstration in Zürich unter dem Motto «Same Love – Same Rights» (dt. «Gleiche Liebe – Gleiche Rechte») statt.
Seit einigen Tagen beschäftigt mich die Frage: soll ich meinen Regenbogen-Pin für die Jährliche Konferenz Schweiz-Frankreich-Nordafrika der Evangelisch-methodistischen Kirche an der Jacke lassen oder wegnehmen? Dabei geht es mir um mehr, als nur eine Frage des Stils oder der allgemeinen Kleidervorschrift für solche Veranstaltungen. Im Grundsatz geht es um die Frage: will ich öffentlich Stellung beziehen zu meiner Position um die Frage der Homosexualität in der Kirche, oder will ich es mir vorenthalten, diese Position nur in ausgewählten Privatgesprächen kundzutun? Ein solcher Pin, mag er auch noch so unscheinbar wirken, zeigt ein Bekenntnis an. Ein Bekenntnis zu einer aktuell viel diskutierten Lage in der weltweiten Kirche, aber auch zu einem Thema, das in meinem privaten Umfeld vielerorts nicht abschliessend diskutiert ist. Ich bin hin und her gezogen, zwischen jenen Menschen in meinem Umfeld, die in ihrer Meinung zu diesem Thema noch nicht festgelegt sind und jenen Freunden, die der LGBTQ-Gemeinschaft angehören und in mir eine Verbündete in ihrem Kampf um Gleichstellung sehen.
Was, wenn ich es tue?
Was werden die Leute denken? Was wird die Kommission für ordinierte Dienste oder das Kabinett denken? Wie werden jene Menschen reagieren, die mich schon lange auf dem Weg meiner Berufung zur Pfarrerin begleiten?
Ich habe Angst – nicht so sehr vor den Reaktionen, die ich zu hören bekommen werde, sondern vor jenen, die sich hinter meinem Rücken abspielen werden. Ich habe keine Angst davor, keine Antwort auf Anfragen oder Reaktionen zu haben, sondern davor, keine Möglichkeit auf Antwort oder Reaktion zu erhalten.
Ich stocke in meinen Gedanken und realisiere, wie privilegiert ich mich anhöre.
Viele meiner Freunde haben eine solche Wahl nicht. Ihr «Coming Out» - also der Moment in dem sie vor ihrem Umfeld bekennen, dass sie homo-, bi-, transsexuell oder schlicht «queer» [Queer: alles, was nicht als «heteronormativ» verstanden wird, wird häufig unter dem Begriff «Queer» zusammengefasst. Man kann den Begriff als «Platzhalter» verstehen – für alles, was noch nicht definiert ist oder nicht definiert werden will (nach Maggie Nelson)] sind – ist ein Moment des nicht bloss privaten, sondern auch politischen Bekenntnisses. Meine Freunde hatten keine Wahl, ob ihre Sexualität zu einem politischen Thema ihres Umfeldes wird oder nicht. Sie mussten lernen, damit umzugehen, dass man hinter ihrem Rücken über sie redet. Über sie debattiert. Sie mussten zusehen, wie ihre Partnerwahl zu einer politischen Diskussion wurde. Sie mussten zusehen, wie sie zu einer kirchlichen Diskussion wurden.
Meine Freunde haben keine Wahl. Also habe ich, die ich in Solidarität mit ihnen stehe, keine Wahl.
Hier ist mein Bekenntnis:
Ich unterstütze die LGBTQ-Gemeinschaft in ihrem Bestreben für Gleichstellung in der Gesellschaft und der Kirche.
Ich unterstütze die Kirche in ihrer Suche nach Einheit.
Ich bin für Gespräche offen. Fragt mich nach meiner Meinung und nach meinen Beweggründen. Lasst uns ins Gespräch kommen.
Ich bekenne Farbe - oder sollte ich sagen: Farben?
Was ist dein Bekenntnis?