Bischof Heinrich Bolleter schreibt:
Mit unserem Hang zur Aktualität und unserem Kurzzeitgedächtnis untergraben wir die politische Bildung.
Ich wollte schon lange einen Beitrag über die Dimension des Antiziganismus in Europa und in der Schweiz schreiben. Typischerweise ist jedoch dieses Projekt stets wieder von anderen aktuellen Beiträgen in den Hintergrund gedrängt worden. Nun notiere ich anlässlich des Holocaust-Gedenktages am 26. Januar 2013 doch einige Gedanken zum Thema. Das Ziel solcher Notizen ist mit den Worten von Bischöfin Rosemarie Wenner treffend umschrieben. Sie hielt im Zusammenhang mit dem Holocaust Gedenktag fest: „Wir wirken daran mit, dass Menschen einander respektvoll begegnen und wehren so Vorurteilen und Verallgemeinerungen gegenüber »den Juden«, »den Roma« oder auch »den Fremden«. So wird die Welt menschlicher, Gott, dem Freund des Lebens zur Ehre.“
Es gibt gegenwärtig in Europa und auch in der Schweiz einen Antiziganismus, nicht nur in Denkmustern, sondern auch in ganz konkreten Diskriminierungen und Handlungen. Sinti und Roma werden noch immer mit Diebstahl und Faulheit in Zusammenhang gebracht und die Ausgrenzung als Mittel eingesetzt, um sie loszuwerden. Kriminalität wird erklärt durch Zugehörigkeit zu einer Minderheit, seien es nun Migranten oder „Zigeuner“ .
Sinti und Roma werden bei uns durch Behörden und Lokalpolitiker diskriminiert. Zwar reden wir nicht darüber und zeigen lieber mit Fingern auf die ost- und südosteuropäischen Länder, wo durch die Emanzipation von der kommunistischen Vergangenheit ein neuer emanzipatorischer Nationalismus erwachte und damit den Antiziganismus seit den 90er Jahren neu förderte.
Antiziganismus ist, wie der Antisemitismus, nicht nur ein Problem des rechten Randes. Er ist virulent auch in der gesellschaftlichen Mitte. Weil wir die Verbrechen an den Sinti und Roma in der Geschichte und der Gegenwart Europas weder wahrnehmen noch historisch aufarbeiten, breitet sich der Antiziganismus ungehindert aus.
In Europa soll es 12 Millionen „Zigeuner“ geben. Die wirklich fahrenden Familien sind aber nur eine kleine Minderheit davon. Die Mehrheit hat sich fest niedergelassen oder wurde auch dazu gezwungen. Sie lebt in den ost- und südosteuropäischen Ländern. Wir können nicht Lösungen finden, wenn wir nur versuchen die Romas von unserem Land fern zu halten.
Der Korrespondent der NZZ in Belgrad hat unlängst in einem Artikel festgehalten: „Für die Schweiz ist das Asylproblem mit serbischen Roma gelöst. Doch gegen die eigentliche Ursache der Misere ist damit nichts getan.“
„Der serbische Innenminister Ivica Dacic und der Direktor des Schweizer Bundesamtes für Migration Mario Gattiker wirkten entspannt, als sie in Belgrad Mitte Januar vor die Presse traten: Problem gelöst. Die Zahl der Antragsteller ohne eigentlichen Asylgrund aus Serbien, die in der Schweiz Aufnahme suchen, ist in kurzer Zeit auf fast einen Zehntel zurückgegangen. Dacic sagte klar, wem dies zu verdanken sei: den Schweizer Behörden. Sie hatten das Prüfungsverfahren beschleunigt und die so genannten Rückkehrhilfen abgeschafft.“ Über 80 Prozent der Asylsuchenden aus Serbien und Mazedonien seien Roma. Viele würden aus dem serbischen Presevo Tal nahe der mazedonischen Grenze kommen.
Wer beginnt über die Situation der Roma nachzudenken, entdeckt sehr bald, dass wir nur Lösungen finden in der Schweiz und in Europa, wenn wir miteinander kommunizieren. und helfen die Lebensbedingungen und die Ausbildung der Romas an Ort und Stelle zu verbessern. Wenn man nicht kommuniziert, entstehen Vorurteile und Misstrauen. Die Ausgrenzung der Sinti und Roma ist nicht nur in den osteuropäischen Staaten vorhanden, sondern auch bei uns.
Diskriminierung ist stets auch eine Folge von Verdrängung und Schuldabwehr. Nur vom sozialen Problem zu reden, greift zu kurz. Wir müssen auch die Diskriminierungen und die Verfolgung über Generationen in unserer Geschichte im Blick haben. Antiziganismus ist stets auch eine Folge von Verdrängung und Schuldverweigerung. Wer hält das Bewusstsein wach, dass es auch ein Holocaust für die Romas gab? Wer in der Schweiz hält die Erinnerung an das Unrecht wach, welches man an den „Kindern der Landstrasse“ verübt hatte (ein halbstaatliches Projekt, durch welches man die Fahrenden ausrotten wollte, indem man die Familien auseinander riss und die Kinder den Familien entzog. 1926 bis 1972). Wer weiß, dass im Kosovokrieg die Sinti und Roma vertrieben wurden? Und Europa kaum einen Finger gerührt hatte, um sie neu anzusiedeln?
Politische Bildung hat sehr viel mit der Befähigung die Vergangenheit zu verstehen und auch die Schuld zu bewältigen zu tun. Dazu leistet der Holocaust Gedenktag einen kleinen Beitrag.
PS: Eine Dokumentation zum Antiziganismus in Europa wurde nach einem Symposium im Mai 2012 in Mannheim zusammengestellt:
http://www.roma-service.at/dromablog/?p=21473
Heinrich Bolleter, Bischof im Ruhestand
Dummheit
AntwortenLöschen"Trotz der heiligen Versprechen der Völker, den Krieg für alle Zeiten zu ächten, trotz der Rufe der Millionen: 'Nie wieder Krieg', entgegen all den Hoffnungen auf eine schönere Zukunft muß ich sagen: Wenn das heutige Geldsystem, die Zinswirtschaft, beibehalten wird, so wage ich es, heute schon zu behaupten, daß es keine 25 Jahre dauern wird, bis wir vor einem neuen, noch furchtbareren Krieg stehen.
Ich sehe die kommende Entwicklung klar vor mir. Der heutige Stand der Technik läßt die Wirtschaft rasch zu einer Höchstleistung steigern. Die Kapitalbildung wird trotz der großen Kriegsverluste rasch erfolgen und durch Überangebot den Zins drücken. Das Geld wird dann gehamstert werden. Der Wirtschaftsraum wird einschrumpfen, und große Heere von Arbeitslosen werden auf der Straße stehen. An vielen Grenzpfählen wird man dann eine Tafel mit der Aufschrift finden können: 'Arbeitssuchende haben keinen Zutritt ins Land, nur die Faulenzer mit vollgestopftem Geldbeutel sind willkommen.'
Wie zu alten Zeiten wird man dann nach dem Länderraub trachten und wird dazu wieder Kanonen fabrizieren müssen, man hat dann wenigstens für die Arbeitslosen wieder Arbeit. In den unzufriedenen Massen werden wilde, revolutionäre Strömungen wach werden, und auch die Giftpflanze Übernationalismus wird wieder wuchern. Kein Land wird das andere mehr verstehen, und das Ende kann nur wieder Krieg sein."
Silvio Gesell, 1918 (direkt nach dem Ende des 1. Weltkrieges)
"Um zu wissen, wie wir der Dummheit beikommen können, müssen wir ihr Wesen zu verstehen suchen. Soviel ist sicher, daß sie nicht wesentlich ein intellektueller, sondern ein menschlicher Defekt ist.
…Daß der Dumme oft bockig ist, darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß er nicht selbständig ist. Man spürt es geradezu im Gespräch mit ihm, daß man es gar nicht mit ihm selbst, mit ihm persönlich, sondern mit über ihn mächtig gewordenen Schlagworten, Parolen etc. zu tun hat. Er ist in einem Banne, er ist verblendet, er ist in seinem eigenen Wesen mißbraucht, mißhandelt. So zum willenlosen Instrument geworden, wird der Dumme auch zu allem Bösen fähig sein und zugleich unfähig, dies als Böses zu erkennen."
(aus "Dummheit ist ein gefährlicherer Feind des Guten als Bosheit", 1943)
Hätte sich Dietrich Bonhoeffer (1906 - 1945) die Ursache der Dummheit bewusst machen können, wäre er kein Theologe mehr gewesen. Denn es ist die Religion, die – unabhängig von "Glaube" (Cargo-Kult) oder "Unglaube" (Ignoranz) – den Kulturmenschen verdummt, damit er in einer noch fehlerhaften Makroökonomie, die Massenarmut, Umweltzerstörung, Terrorismus und Krieg unvermeidlich macht, die "Mutter aller Zivilisationsprobleme" bis zum eigentlichen Beginn der menschlichen Zivilisation, der Natürlichen Wirtschaftsordnung, nicht sieht und auch gar nicht erst sehen will:
Opium des Volkes