Der Ausschuss Kirche und Gesellschaft der Evangelisch-methodistischen Kirche (EMK) Schweiz-Frankreich-Nordafrika kommentiert an dieser Stelle in mehreren Blogbeiträgen den Entwurf der vollständig neu überarbeiteten Sozialen Grundsätze. Siehe http://www.umcjustice.org/sp2020!
Die nachfolgenden Bemerkungen von Marietjie Odendaal beziehen sich auf den
Abschnitt «The World Community» (Die Weltgemeinschaft).
Ich freue mich sehr, dass ich in einem Text der Kirche viele von meinen Anliegen wiederfinde. Da spüre ich, dass ich Teil einer Gemeinschaft bin, die am gleichen Strick zieht. Wenn ich die Neufassung der sozialen Grundsätze lese, begrüsse ich besonders die folgenden Aussagen:
- Regierungen werden verantwortlich gemacht für das Wohlergehen aller BewohnerInnen (Abschnitt B).
- Die globale Dominanz von ökonomisch mächtigen Nationen wird als Problem für schwächere Nationen anerkannt (Abschnitt C).
- Krieg steht in Widerspruch zur Nachfolge Christi (Abschnitt E).
- Zu Recht wird der dringend nötige Einsatz für Frieden (auf der Basis von Gerechtigkeit) beteuert (Abschnitt F).
- Migration ist eine globale Frage, die Staaten und Regionen ganz unterschiedlich herausfordert. Die Kirche ist immer mittendrin, ob sie sich dessen bewusst ist oder nicht. Ich würde die weltweite Migration (Abschnitt I) jedoch in dem Abschnitt C (National Power and Responsibility) integrieren.
- Der neu hinzugekommene Abschnitt zur Kommunikation ist erfreulich aktuell (Abschnitt J).
In diesen Aussagen höre ich, dass wir Teil einer Weltgemeinschaft, und dass unsere Schicksale miteinander verbunden sind. Darum ist es wichtig, dass wir dort, wo wir sind, auf Gottes neue Welt für alle hinarbeiten.
In einigen Themenbereichen wünsche ich mir noch mehr Klarheit, und dass die Kirche als eine andere Stimme hörbar wird als die, welche uns sonst schon überall begegnen. So vermisse ich in diesem Entwurf folgendes:
Im Abschnitt D (Justice and Law) fehlt der Auftrag, Verstösse gegen Recht und Gerechtigkeit zu bezeugen. Damit das geschehen kann, muss sich jeder einzelne Mensch und im Besonderen die Kirche entsprechend informieren.
Zu Abschnitt E (War and Peace) fällt die theologische Begründung mager aus. Zu ergänzen wären:
- Das Töten widerspricht Gottes Erlösungshandeln und der Einladung zur Umkehr.
- Jesus ruft zur Feindesliebe auf (vgl. die aktuelle Version der Sozialen Grundsätze www.soziale-grundsaetze.ch).
- Die frühe Kirche erachtete den Krieg als Widerspruch zur christlichen Nachfolge. Diese Klarheit ging im Laufe der konstantinischen Wende verloren, als die Kirche sich immer stärker dem Staat verpflichtete. Ist der Staat wichtiger als Gottes Reich?
- Abrüstung müsste von grösseren Investitionen in die zivilen technischen Entwicklungen begleitet werden.
Weiter frage ich mich, ob das Thema der globalen Gesundheit (Global Health – Abschnitt G) nicht zu Abschnitt A (Human Dignity, Rights and Responsibilities) gehört? Das Thema ist jedenfalls aktuell und brisant. Ergänzt werden sollte, dass Gesundheit keine Ware ist und medizinische Versorgung nicht dem ökonomischen Profit geopfert werden darf.
Zu Religious Freedom (Religionsfreiheit – Abschnitt H) stellt der letzte Satz im zweiten Abschnitt eine steile Behauptung auf, die ich so nicht teile: dass die freiwillige und erzwungene Migration von Menschen Staaten vermehrt dazu führe, die Religionsfreiheit einzuschränken. Vielleicht reagieren Regierungen so, aber diese Reaktion ist nicht zwangsläufig und kann auf andere Weise einleuchtender begründet werden.
Es irritiert mich auch, dass die Lausanner Verpflichtung (im dritten Abschnitt) im Zusammenhang mit der Religionsfreiheit erwähnt wird. Hinter der Verpflichtung steht ja, gemäss eigenem Selbstverständnis, eine christlich-evangelikale Missionsbewegung.
Im Abschnitt J über Global Communication (Weltweite Kommunikation) fehlt ein kritischer Hinweis auf die flächendeckende Überwachung der Kommunikation und den daraus folgende Verlust an Privatsphäre.
Letztlich freue ich mich, dass dieses Gespräch über die neuen Sozialen Grundsätze öffentlich erfolgt, so dass ich mich daran beteiligen kann.
The World Community in der Version von 2017-2020: http://www.umc.org/what-we-believe/the-world-community
Die Sozialen Grundsätze (deutsch) in der Version 2017-2020: http://www.soziale-grundsaetze.ch
Der Ausschuss Kirche und Gesellschaft der Evangelisch-methodistischen Kirche Schweiz-Frankreich-Nordafrika kommentiert an dieser Stelle in mehreren Blogbeiträgen den Entwurf der vollständig neu überarbeiteten Sozialen Grundsätze. Siehe http://www.umcjustice.org/sp2020!
Die Evangelisch-methodistische Kirche (EMK) hat seit ihren Anfängen immer wieder mit den Fragen rund um den überdimensionalen Begriff «Gerechtigkeit» gerungen. Dem Ruf aus Micha 6,8 folgend ist die Aufgabe eines jeden Menschen unter anderem «Gerechtigkeit zu üben». Dieser Ruf gilt dem Einzelnen genauso wie jeder politischen Regierung. Gerechtigkeit muss dem Wohle der Gesellschaft dienen, die Armen und Ohnmächtigen schützen und Systeme entwickeln, die das allgemeine Gute fördern. Die Sozialen Grundsätze (Social Principles) rammen einige Grundpfeiler in diesen grossen Fragen- und Themenkomplex, an dem sich die Kirche in ihrer Auseinandersetzung mit der politischen Macht zu orientieren hat.
Der Text zur «V. The Political Community» (siehe http://www.umcjustice.org/sp2020!) ist (überraschend) prägnant formuliert und (weniger überraschend) theologisch fundiert. Besonderes Augenmerk wird natürlich der Rolle der Kirche im politischen Umfeld gewidmet. Kirche und Staat sollen voneinander unabhängig sein und bleiben. Aufgabe der Kirche ist es einerseits, für die Regierenden zu beten, und andererseits eine prophetische Rolle zu übernehmen und Missstände mit klaren Worten und Taten aufzuzeigen. Das spricht mir ganz aus der Seele. Ich schätze das Prinzip Freiheit über alles. Die Kirche darf sich nicht an die Bedürfnisse der Herrschenden anpassen, nur um wohlgefällig zu sein oder geduldet beziehungsweise gefördert zu werden. Kirche ist immer ein Stachel im Fleisch der Macht; so wie Jesus (und alle Propheten vor ihm) ein Stachel im Fleisch der religiösen, politischen, wirtschaftlichen und militärischen Macht war.
Dazu passt, dass die Sozialen Grundsätze eindeutig Stellung zu den Menschenrechten, inklusive Meinungs-, Versammlungs- und Religionsfreiheit, dem Recht auf sauberes Wasser und Grundversorgung etc. nehmen. Besonders ins Auge stach mir dabei der Satz: «Bildung ist ein Menschenrecht». Dieser scheinbar einfache Satz allein birgt genügend Herausforderungen für uns als Gesellschaft in sich. Noch lange haben nicht alle Menschen dieselben Bildungschancen – auch nicht bei uns in der wohlhabenderen Hemisphäre.
Nach der Klarstellung dieser Sachverhalte stellt sich die Frage nach der Verantwortlichkeit der Regierungen. Beim Lesen des Textes musste ich lächeln. Kurios und gleichzeitig immer wieder erschreckend ist, dass gewählte Politiker/innen sich nicht selbstverständlich ihres Amtes gemäss verhalten. Stichworte hierzu sind: Verlässlichkeit, Offenheit, Transparenz. Ich schreibe diesen Text nur wenige Tage, nachdem der amerikanische Präsident das „Atom-Abkommen“ mit dem Iran einseitig für ungültig erklärt hat. Gleichzeitig wird, was mich als Wahlberechtigten eines EU-Landes besonders beschäftigt, hinter verschlossenen Türen immer noch über CETA und TTIP verhandelt. Die Schlagworte Verlässlichkeit, Offenheit, Transparenz wirken in diesem Zusammenhang zwar schön, aber auch hohl. Das Vertrauen in die politische Klasse scheint heute aus guten Gründen an einem Tiefpunkt angelangt zu sein.
Gerade deshalb fand ich es erfrischend, dass die Sozialen Grundsätze «zivilen Ungehorsam» gutheissen, sofern dieser gewaltfrei erfolgt – und die legalen Konsequenzen der Aktionen akzeptiert werden. Natürlich muss «ziviler Ungehorsam» dabei immer dem höheren Gut dienen, nämlich der Bekämpfung von Bosheit, Ungerechtigkeit und Unterdrückung. Martin Luther King Jr. und Dorothy Day schiessen mir spontan durch den Kopf …
Da jede Regierung die Verantwortung hat, für die Sicherheit der Bevölkerung zu sorgen, stellt sich selbstverständlich auch die Frage nach dem Justizwesen eines Staates. Dass die Todesstrafe von der Kirche abgelehnt wird, ist naheliegend. Dass sie aber mit dem Werkzeug der «restaurativen Justiz» auch einen wertvollen Beitrag zur Neugestaltung unseres Justizwesens beizutragen hat, ist den meisten Menschen weniger geläufig. Viele nehmen es als gegeben hin, dass wir ein «Strafsystem» pflegen, das Opfer und Täter völlig trennt. Das Opfer hat in der Regel von der Bestrafung des Täters wenig (ausser eine gewisse persönliche Genugtuung vielleicht). Und der Täter hat kaum eine Chance, seine Tat wieder gut zu machen. Dagegen plädieren die Sozialen Grundsätze für einen Weg, der Opfer und Täter zusammenführt und für einen gewissen Ausgleich sorgt.
Der letzte Abschnitt zur politischen Gemeinschaft handelt vom Militärdienst. Hier steht die Kirche in der Spannung zwischen einerseits radikalen Pazifisten und andererseits Befürwortern eines «gerechten Krieges» im Falle des Versagens aller friedlichen Bemühungen. Beide Seiten haben ihre guten Argumente und es ist schwierig, hier eindeutig Stellung zu beziehen. Kann ein Pazifist wirklich einem Genozid tatenlos zuschauen, selbst wenn die Möglichkeit bestünde, durch militärische Intervention ein noch grösseres Blutvergiessen zu vermeiden? Andererseits: Wer entscheidet, wann ein militärisches Eingreifen angebracht ist? Ab welcher Opferzahl beispielsweise?
Ich möchte dem Leser diese Gedanken selbst überlassen, aber ein unangenehmer Stachel soll doch noch formuliert sein. Bis ins frühe 4. Jahrhundert, als das Edikt von Elvira formuliert wurde, scheinen Christen jede Art von militärischem Dienst tunlichst vermieden zu haben. Das Edikt verlangt sogar von jedem Soldaten, der neu zum Glauben kommt, sofort seinen Dienst zu quittieren. Der Pazifist würde sagen: «Gut so. Wer eine Waffe in der Hand hält, kann kein Kreuz tragen.» Ein anderer könnte sagen: «Das war eine andere Zeit. Damals hatten Christen noch keine staatstragende Verantwortung. Die heutige Situation ist viel komplexer.» Entscheiden Sie selbst!
The Political Community in der Version von 2017-2020: http://www.umc.org/what-we-believe/political-community
Die Sozialen Grundsätze (deutsch) in der Version 2017-2020: http://www.soziale-grundsaetze.ch
Der Ausschuss Kirche und Gesellschaft der Evangelisch-methodistischen Kirche Schweiz-Frankreich-Nordafrika kommentiert an dieser Stelle in mehreren Blogbeiträgen den Entwurf der vollständig neu überarbeiteten Sozialen Grundsätze. Siehe http://www.umcjustice.org/sp2020!
Die aktuellen Sozialen Grundsätze gehen auf einen immer wieder überarbeiteten Text der weltweit organisierten Evangelisch-methodistischen Kirche (EMK - englisch: The United Methodist Church) aus dem Jahr 1972 zurück. Das Dokument hat verschiedene Vorläufer. Der älteste ist das Soziale Bekenntnis der Bischöflichen Methodistenkirche aus dem Jahr 1908. Obwohl Teil der Kirchenordnung, sind die Sozialen Grundsätze nicht Kirchenrecht. Vielmehr wollen sie Richtschnur sein bei ethischen und sozialen Fragen.
Besonders in Europa wurden die Sozialen Grundsätze als zu stark auf die USA bezogen kritisiert und vielfach adaptiert. Eine Konsultation in Wien äusserte im Jahr 2006 einerseits den Willen, keine Adaptionen mehr an den Sozialen Grundsätzen vorzunehmen, andererseits sollten die Aussagen stärker an der methodistischen Theologie ausgerichtet und biblisch begründet sein. Weiter wünschte man sich deutlich präzisere Formulierungen, die dem weltweiten Charakter des Textes Rechnung tragen.
Seit etwa 8 Jahren enthält die offizielle deutschsprachige Übersetzung (www.soziale-grundsaetze.ch) keine lokalen Anpassungen mehr, mit Ausnahme einer für die EMK in Deutschland gültigen Abweichung bei den Aussagen zur Homosexualität.
Es dauerte einige Zeit, bis die Generalkonferenz 2012 beschloss, die vollständige Überarbeitung der Sozialen Grundsätze zu beginnen. Ab 2013 folgten dazu Hearings auf der ganzen Welt. Dabei wurde deutlich, dass die Sozialen Grundsätze sehr geschätzt werden, und dass man bei einer Überarbeitung keine inhaltlichen Verwässerungen von Aussagen wünscht.
Ab 2016 folgte unter der Leitung des General Board Church and Society (GBCS – https://www.umcjustice.org/) die Neubearbeitung der Sozialen Grundsätze. Sechs paritätisch zusammengesetzte Internationale Teams wurden beauftragt, den Text so zu überarbeiten, dass die Aussagen 1. präziser formuliert, 2. besser biblisch und methodistisch begründet und 3. von globaler Relevanz sind. Die inhaltliche Stossrichtung wurden nicht verändert.
Weitere Bearbeitungen vorwiegend zur sprachlichen und stilistischen Einheitlichkeit rundeten den Entwurf ab.
Seit Mitte April 2018 liegt dieser Entwurf in den Sprachen Englisch, Französisch, Portugiesisch und Suaheli öffentlich auf. Unter http://www.umcjustice.org/sp2020 kann er heruntergeladen und kommentiert werden. Es ist erwünscht, dass sich möglichst viele Arbeitsgruppen und Einzelpersonen an der Vernehmlassung beteiligen. Alle Rückmeldungen an das GBCS werden in eine erneute Weiterbearbeitung einfliessen.
In diesen Tagen und Wochen finden zudem Hearings und Interviews mit Fachpersonen aus der ganzen Welt statt.
Der Abschnitt zur menschlichen Sexualität ist noch nicht im neuen Entwurf enthalten. Er soll nach der zu dieser Thematik stattfindenden ausserordentlichen Generalkonferenz von Februar 2019 (http://www.umc.org/topics/general-conference-2019-special-session) nachgeführt werden. Die dortigen Beschlüsse werden berücksichtigt.
Der fertige Entwurf der Sozialen Grundsätze wird schlussendlich der Generalkonferenz 2020 (http://www.umc.org/events/detail/2020-general-conference) zur Annahme vorgelegt. Die Generalkonferenz kann weitere Änderungen am Text beschliessen, oder ihn auch ablehnen. In letzterem Fall würde die aktuelle Version in Kraft bleiben.
Schaut man sich historische Filmdokumente der Vereinigungs-Generalkonferenz von 1968 an, bei der die heutige Evangelisch-methodistische Kirche (EMK) entstand, dann fallen die fast ausschliesslich in schwarzen Businessanzügen gekleideten weissen Männer meist älteren Jahrgangs auf.
Schaut man sich die historischen Filmdokumente des Woodstock-Festivals von 1969 an, dann fallen die vielen Langhaarigen, bunt und leicht bekleideten weissen Jugendlichen auf, die in ausgelassener Stimmung Zeichen gegen das Establishment und den Vietnamkrieg setzten.
Schaut man die historischen Filmdokumente aus dem Jahr 1968 von der Ermordung Martin Luther Kings in Memphis, Tennessee an, dann fallen die fast ausschliesslich in Businessanzügen oder Röcken gekleideten schwarzen Frauen und Männer auf.
Da gab es vor 50 Jahren bei der Entstehung der EMK schon mehr als einen garstigen Graben zwischen der Kirche und den wichtigsten gesellschaftsbestimmenden Bewegungen. Mir scheint, schon damals war die EMK nicht mehr gesellschaftsrelevant und vermittelte ein Bild der Rückständigkeit.
Es wird Zeit, dies zu ändern. Bist du dabei?