"Mit der neuen Welt Gottes ist es wie mit einem Weinbauern, der frühmorgens Arbeiter für seinen Weinberg anwarb. Er einigte sich mit ihnen auf den üblichen Tageslohn und ließ sie in seinem Weinberg arbeiten. Ein paar Stunden später ging er noch einmal über den Marktplatz und sah dort Leute herumstehen, die arbeitslos waren. Auch diese schickte er in seinen Weinberg und versprach ihnen einen angemessenen Lohn. Zur Mittagszeit und gegen drei Uhr nachmittags stellte er noch mehr Arbeiter ein. Als er um fünf Uhr in die Stadt kam, sah er wieder ein paar Leute untätig herumstehen. Er fragte sie: 'Warum habt ihr heute nicht gearbeitet?' 'Uns wollte niemand haben', antworteten sie. 'Geht doch und helft auch noch in meinem Weinberg mit!', forderte er sie auf.
Am Abend beauftragte er seinen Verwalter: 'Ruf die Leute zusammen, und zahl ihnen den Lohn aus! Fang beim Letzten an, und hör beim Ersten auf!' Zuerst kamen also die zuletzt Eingestellten, und jeder von ihnen bekam den vollen Tageslohn. Jetzt meinten die anderen Arbeiter, sie würden mehr bekommen. Aber sie erhielten alle nur den vereinbarten Tageslohn. Da beschwerten sie sich beim Weinbauern: 'Diese Leute haben nur eine Stunde gearbeitet, und du zahlst ihnen dasselbe wie uns. Dabei haben wir uns den ganzen Tag in der brennenden Sonne abgerackert!' 'Mein Freund', entgegnete der Weinbauer einem von ihnen, 'dir geschieht doch kein Unrecht! Haben wir uns nicht auf diesen Betrag geeinigt? Nimm dein Geld und geh! Ich will den anderen genauso viel zahlen wie dir. Schließlich darf ich doch wohl mit meinem Geld machen, was ich will! Oder ärgerst du dich, weil ich großzügig bin?'"
Bei diesem Gleichnis sind sich der Gerechtigkeitsfanatiker und der Wirtschaftsliberale für einmal einig: Das geht nicht! Wo kämen wir denn hin, wenn Leistung nicht gerecht entlöhnt wird. Wo bestände da der Anreiz zum Arbeiten, das ganze wirtschaftliche Erfolgsrezept würde über den Haufen geworfen.
Es braucht einen Perspektivenwechsel, um die Geschichte verstehen zu können. Es tauchen Arbeiter auf, die arbeitslos waren, die aus Gründen, die hier nicht stehen, beim ersten Mal nicht zum Zuge kamen. Vielleicht waren es ältere, die zu langsam waren, um in der ersten Reihe zu stehen oder sie hatten andere, für sie wichtigere Aufgaben zuerst zu erledigen. Und die Arbeiter, die der Verwalter am späten Nachmittag vorfindet, erklären, niemand wolle sie haben. Sie tönen resigniert, vielleicht ist es nicht das erste Mal, sie sind, um es neudeutsch zu sagen, schwer vermittelbar, die Gründe sind vielseitig. Aber Jesus meint, sie würden in dieser kurzen Zeit gleich viel leisten, als die anderen, ja möglicherweise sogar mehr. Wer schon einmal einem körperlich behinderten Menschen zugeschaut hat, wie schwer ihm selbst das Schuhe binden fällt, weiss, was hier gemeint ist. Wie schnell disqualifizieren wir Menschen, die gar nichts dafür können.
Szenenwechsel: Am 5. Juni stimmen wir über das bedingungslose Grundeinkommen ab. Jede und jeder soll einen Betrag erhalten, man spricht von 2500.- Franken, so will es die Initiative, einfach so. Und auch hier sind sich Gewerkschafter und Wirtschaftsturbos für einmal einig: Das geht doch nicht! Die einen fordern, man müsse den Menschen Arbeit geben, statt Almosen, in diesem Falle, einen bedingungslosen Betrag. Die andern fürchten einen Zusammenbruch der Wirtschaft. Das geht nun wirklich nicht, dass man fürs Nichtstun noch Geld erhält.
Doch auch in der reichen Schweiz gibt es Menschen, die vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen sind. Sie beziehen eine IV-Rente, sind zu jung oder zu alt für die Arbeit. Zwar haben wir im Vergleich zu Europa eine tiefe Arbeitslosigkeit, aber auch nur, weil die Statistik schöngefärbt wird. Ausgesteuerte tauchen in dieser Statistik zum Beispiel nicht auf, wer nur in einem kleinen Pensum arbeitet, obwohl er mehr möchte, ebenfalls nicht.
Sicher, das bedingungslose Einkommen ersetzt die ganzen Renten nicht, aber sie schafft fürs erste eine Erleichterung. Wer schon einmal mit den IV- und Arbeitslosenbehörden zu tun gehabt hat, weiss, wie mühsam der Umgang mit der Behörde ist. Es kommt oft auch auf den Berater an, ob man mehr oder weniger erhält. Mit diesem Grundeinkommen werden die ersten Ungleichheiten bekämpft.
Und auch der Vorwurf an diese Initiative, niemand wolle dann mehr arbeiten, zeugt von einer kurzfristigen Denkweise. Eher müsste man sich in diesem Falle überlegen, die Mindestlöhne zu erhöhen, die Arbeit attraktiver zu gestalten.
Auch hier braucht es einen Perspektivenwechsel, um die Vorteile dieser Initiative zu erkennen: Das bedingungslose Grundeinkommen verschafft einem Zeit, und plötzlich tauchen kreative Ideen auf, wie man diese sinnvoll einsetzen kann. Nicht nur der Kirche, auch viele anderen Institutionen fehlen die freiwilligen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Es ist doch so, viele wählen heute aus wirtschaftlichen Gründen die Arbeit an der Kasse statt die Mithilfe an einem Altersnachmittag, um es einmal salopp zu sagen. Es wäre auf alle Fälle eine Anerkennung an die Freiwilligenarbeit.
Gewiss, diese Initiative hat noch viele Fragezeichen, ist mehr ein Denkanstoss, denn eine ausgegorene Idee. Aber ich finde sie wichtig. Wir brauchen, gerade aus christlicher Sicht immer wieder Visionen, neue Ideen für eine gerechtere Welt. Viele regen sich auf, weil die Initianten ein bedingungsloses Einkommen fordern; wo bleiben diese Stimmen, wenn es um Steuerhinterziehung, Waffenhandel und andere dubiosen Geschäfte geht?
Und vielleicht wird das Grundeinkommen schneller eingeführt, als es den meisten Gegner lieb ist. Führende Wirtschaftsökonomen prophezeien einen rapiden Arbeitsplatzverlust in den nächsten Jahrzehnten. Immer mehr Maschinen übernehmen die Arbeit: Selbstfahrende Autos ersetzen Taxis, Computer dringen in Bereiche ein, von denen wir heute glauben, das können nur Menschen erledigen. Wie gehen wir mit dieser Herausforderung um?